Akklimatisierung für das 7-tägige Trekking in der Cordillera Huayhuash
- wdoerig
- 5. Sept.
- 7 Min. Lesezeit
Im Vorfeld haben wir uns zwei Tage für Akklimatisierung eingeplant.
Unsere Ankunft in Huaraz 18:00 Uhr. Wir trinken einen Apéro und essen etwas Kleines, bevor wir mit grossem Schlafmanko von der langen Reise ins Bett fallen.
Am nächsten Tag wollen wir von Shilla aus eine 10 Km lange Rund-Wanderung bis 3'600 m Höhe unternehmen. Wir beschliessen, spät zu starten, damit wir nach unserer Tour die Pizzeria im Dorf, die erst um 15:00 Uhr öffnet, ohne Warten besuchen können.
9:00 Uhr Frühstück, 10:00 Uhr Start, 1.5 Stunden Autofahrt. Durch verwinkelte Gassen und Strässchen geht es durch Huaraz hinunter zur Hauptstrasse Richtung Norden.
Christina kümmert sich erneut um die in São Paulo liegen gebliebene Tasche, ohne die wir das Trekking nicht antreten können. Wir bekommen Auskunft, dass die Tasche heute, Samstag, in Lima eintreffen und am Sonntag im Hotel in Huaraz angeliefert werden soll. Zur Sicherheit verschieben wir das Trekking um einen Tag nach hinten.
Eine Stunde nach Start biegen wir rechts ab und fahren auf einer erstaunlich gut befestigten Strasse hoch nach Shilla.
Die uns von vorangegangenen Reisen bekannten kleinen Felder, steil angelegt, nur von Hand zu bewirtschaften, erschliessen sich links und rechts der steilen, nach oben führenden Strasse.
Wir freuen uns, wieder hier sein zu dürfen und fühlen uns wie zuhause.
In Shilla angekommen, stellen wir das Auto ab: buntes Treiben im Dorf mit lauter Musik. Frauen, traditionell gekleidet, mischen sich unter modern angezogene junge Ladys. Es ist Samstag.
Wir ziehen mit unseren leichten Rucksäcken los
Mario Holenstein, der Besitzer unseres Hotels, führt uns. Er nutzt die Wanderung mit uns als willkommene Abwechslung zum harten Alltag in seinem Resort.
Ein wenig weiter unten, Kühe am Grasen.
Wir winken uns von Weitem zu. Die Menschen hier sind überaus freundlich.
Sie sind sehr interessiert, woher wir kommen, wohin wir gehen; man gibt sich beim Grüssen auf den Wegen oft sogar die Hand.
Hunde bellen und folgen uns kurze Strecken. Ein Junger Rüde will mit uns spielen und weicht während einer Rast nicht von unserer Seite.


Schnell geht es so steil, wie vorher hinauf, wieder hinab ins Dorf. Wir steigen über Wassergräben, die zum Bewässern der kleinen Äcker angelegt sind.

Ohne das Wasser, das von den Bergen rinnt, ist hier an Landwirtschaft nicht zu denken. Alles würde in der Trockenzeit verdorren.
Die Bauern hier führen ein sehr hartes, anspruchslose Leben. Jedes Körnchen, jede Kartoffel ringen sie mit reiner Handarbeit der Natur ab. Sie versorgen sich mit ihren Feldern und Tieren selber. Für mehr reicht es nicht.
Bald gelangen wir zu den ersten ganz einfachen Häuschen am Dorfrand. Schweine hinter Holzverschlägen, an einem Bein angebunden, Schafe und Rinder säumen unseren Weg zum Dorfmittelpunkt bei der Kirche.
Es ist noch eine Stunde bis 15:00 Uhr. Wir besuchen die Kirche und treffen italienische Pilger.
Die Gegend um Huaraz ist geprägt vom italienischen Don Bosco Orden. Viele Hütten in den Hochanden sind von dem Orden aufgebaut und werden von jungen Gläubigen geführt. Kirchen sind ebenfalls von Don Bosco aufgebaut und werden von Priestern aus dem Orden geführt.
Die Pizzeria gehört obendrein zum Orden.

Wir werden von einer gläubigen Familie mit ihren 8- und 10- jährigen Töchtern bedient. Die Pizza schmeckt herrlich. Wir tauschen uns aus und freuen uns, so freundliche Menschen getroffen zu haben.

Wir fahren ins Hotel und legen uns wieder todmüde ins Bett.
Am Sonntag wollen wir früh raus. Es wartet eine lange Wanderung, alles zwischen 4'000 m und 4'400 m, auf uns, zu der wir von Mario eingeladen sind.
Um 6:30 Uhr geht es los. Mario, mit seinem 4x4, biegt kurz, nachdem wir Huaraz Richtung Norden verlassen haben, rechts ab.
Über eine holprige, staubige Strasse geht es ins Tal hinein. Immer enger werdend, schmiegt sich der Weg an die steil abfallende uralte Moräne.
Fahrfehler würden hier in den sicheren Tod führen, doch Mario lenkt sein Gefährt sicher auf dem Holperpfad, als wäre Fahren in diesem gefährlichen Gelände sein Beruf. Je höher wir kommen, desto offener werden die verdorrten Wiesen, und Mario findet einen Platz, wo er sein Auto abstellen kann.
Schon geht es zu Fuss weiter Richtung enges Tal, dann weit hinein zur Laguna Shallap.
Wir dürfen den ganzen Weg, wie auf einem für uns ausgerollten Teppich aus ganz kurzem, dürrem Gras wandern. Büsche und Blüten verbreiten den Duft von frischem Honig in den neuen Tag.
Der Gletscherfluss mit seinen rostigen Steinen und seinem orange-grün-roten Wasser wirkt bizarr und ungewohnt, obwohl die Farben das Auge durchaus erfreuen. Es ist so schön, wir sind einfach glücklich, hier sein zu dürfen.
In sehr sanfter Steigung geht es durch Polylepis-Wälder immer weiter in das Tal hinein, wo der Wald sich lichtet und Matten, auf denen Rinder weiden, sich erschliessen.
Der farbige Fluss ist unser ständiger Begleiter. Dank ihm sind die Wiesen grün und lassen Futter für die Tiere gedeihen.
Fast am Tal-Ende angelangt, wird der Pfad steiler, hinauf zum Wall, der die Lagune einschliesst; weit oben der Gletscher, der den See mit seinem Schmelzwasser nährt.
Wichtig zu erfahren ist, wie solche Lagunen entstanden sind und warum die Gletscher-Seen immer mit einem künstlichen, von Menschenhand angelegten, Wall gesichert wurden.
Gletscher-Seen entstanden dort, wo die Gletscher in alten Zeiten von der fast Senkrechten in den Talboden übergingen. Der Druck des Eises und die vom Eisfluss erzeugte Reibung haben im Talboden Mulden ausgehoben, die sich beim Rückzug der Gletscher mit Schmelzwasser füllten.
In der Cordillera Blanca haben sich in der Vergangenheit fürchterliche Tragödien abgespielt, weil grosse Gletscherabbrüche in solche Gletscher-Seen gefallen sind und die Seen zum Überschwappen brachten. Die Folge waren Murgänge, die zehntausenden Menschen das Leben nahmen. In mühseliger Handarbeit wurden der Katastrophen zufolge Steindämme angelegt, die das Überschwappen verhindern und Wasser kontrolliert abfliessen lassen.
Welch ein Anblick: das grün schimmernde Wasser, hinten die schwarze Wand, wo früher der Gletscher abfiel und darüber der Gletscherabbruch mit seiner weissblauen Eiswand.

Die grün schimmernde Lagune und die rostigen Steine müssen von eisenhaltigem Wasser herrühren; neben Eisen wird der Gehalt von Schwefel und Phosphor im See erheblich sein. So wird der abfliessende Fluss die Wiesen im Tal nicht nur tränken, sondern auch düngen.
Wir verweilen nicht lange, ein eisiger Fallwind vom Gletscher zwingt uns zur schnellen Rückkehr. Schon ein kleines Stück unter dem Wall legt der Wind sich wieder, so dass wir bei herrlichem Wetter und idealen Temperaturen zurückwandern können.
Auf dem Rückweg sieht das Tal so anders aus. Ich entdecke Blumen und Gewächse, die mir beim Aufstieg nicht aufgefallen sind und ich nehme mir viel Zeit zum Fotografieren.
Ob der Schönheit und Anmut dieses Ortes habe ich das Gefühl für Raum und Zeit vergessen und kann es nicht fassen, als wir von Weitem schon wieder das Auto näherkommen sehen.
Eine weitere wunderschöne Akklimatisationstour mit ungeheuren natürlichen Schönheiten geht zu Ende.
Alle freuen sich über den schönen Tag mit der grossen Abwechslung und den wunderbaren Bildern, die wir hier oben geniessen durften.
Nach der Ankunft im Hotel legen wir uns noch ein wenig hin, bevor es zum Abendessen geht, denken wir; doch weit gefehlt. Bei der Fahrt ins Tal versperrt uns ein riesiger Bagger die Strasse; absolut kein Vorbeikommen oder eine Umleitung. Und es ist Sonntag.
Also warten wir mit anderen Fahrzeugen zusammen, eine halbe Stunde, nein eine Stunde. Der Bagger hat in Seelenruhe über zwei Stunden die Strasse verbreitert, Böschungen abgetragen und die Strasse planiert, bis sich das Ungetüm in die Büsche hinunter zum Bach verzieht.
Später werden wir noch weitere Episoden aus der Praxis im Strassenbau Perus erleben.
Wir sind im Hotel, Mario tritt unverzüglich seinen heutigen Küchendienst an, und Christina und ich legen uns tatsächlich noch hin.
Übrigens ist die Tasche nicht, wie versprochen, in Huaraz angekommen, sie liegt gemäss dem in der Tasche befindlichen Tracker jetzt in Lima.
Montag, eigentlich wären wir auf dem Weg zum Huayhuash Trekking, doch fehlt uns noch immer die grosse gelbe Expeditionstasche.
Leider haben wir durch Vertröstungen und Falschinformationen das Vertrauen in das hiesige Flugpersonal komplett verloren. Wieder heisst es, das Gepäckstück wird heute zum Hotel zugestellt.
Beim Frühstück können wir über den Tracker beobachten, dass sich die Expeditionstasche in Lima bewegt. Kein Risiko, Christina fährt mit dem Taxi zum Flughafen Huaraz, um vom landenden Flieger, kommend aus Lima, das Gepäckstück direkt abzuholen. Mit einigen organisatorischen Schwierigkeiten schafft sie es, die Tasche dank der Kleinheit des Flughafens, aus den Fängen der Fluggesellschaft zu befreien und freut sich nach der langen bangen Warterei, endlich ihr Gepäck wieder zu haben.
Am Nachmittag begeben wir uns auf eine kleine Wanderung direkt vom Hotel weg.
Es ist schwierig, ohne Karte den Einstieg in die Rundtour zu finden. Bei Mittagshitze führe ich uns der Nase nach zu weit rechts; wir folgen kleinen Pfaden, die zur Bewirtschaftung der typischen steilen kleinen Äcker angelegt sind, immer weiter folgen wir den immer schmaler werdenden Wegelein.
"Die Richtung stimmt, wir sind einfach zu weit rechts", sage ich zu Christina. Wir werweissen, ob wir umdrehen sollen. Der Kopf gibt es mir nicht zu, ich will da rauf. Christina macht mit. Es geht durch hüfthohes Gras, das seine Kletten-Samen auf uns abwirft und durch Hose und Socken sticht.
Immer wieder finde ich einen Weg hinauf auf die Krete, die Huaraz umschliesset. Ich gehe voraus, versuche durchzukommen und hole Christina erst nach, wenn ich sicher bin, dass wir weiterkommen.
Oft ist an Wasserläufen das beste Durchkommen, meist läuft parallel ein Weglein, das benutzt wird, um an Zweigstellen zu gelangen, wo das Wasser durch Stauen in andere Richtungen umgeleitet wird.
Ein frisch verbranntes Waldstück macht Christina besonders zu schaffen: Russ an den Hosen und in den Schuhen geht für sie gar nicht.
Jetzt ist nonverbal der Punkt gekommen, wo die Entscheidung vor oder zurück auf Messers Schneide steht, doch Christina zieht mit.
Bald erreichen wir nach einem Eukalyptuswald eine Kuhherde; Hund und Hirte auch dabei. Mit Handzeichen weist mir der Hirte den Weg hoch zur Krete.

Für uns kaum zu glauben, dass es hier lang gehen soll, doch wir vertrauen dem einheimischen Bauern und finden tatsächlich mit Suchen den Weg durch die Steppe nach oben zur Strasse, die über die ganze Krete bis zu einem Aussichtspunkt über Huaraz mit einem riesigen Kreuz führt.
Christina will jetzt kein Risiko mehr eingehen, also bleiben wir auf dem befestigten Weg, bis wir den Stadtrand von Huaraz erreichen und uns durch die Häuser-Schluchten zum Hotel finden. Trotzdem haben wir, wenn der Weg nahe zu den Klippen führte, oft tief hinunter und weit über die Stadt gesehen.
Beim Abendessen sagt Christina zu mir: "Das heute war eine coole Wanderung".
